Anthroposophische Medizin / Misteltherapie
Die Misteltherapie im Bereich der Onkologie ist ein Verfahren, dass der anthroposophischen Weltanschauung entstammt.
Die ursprüngliche Begründung für das Mittel:
Wie der Krebs, der sich dem normalen Zellwachstum widersetze, widersetze sich auch die Mistel den Gesetzen der Natur: sie blühe im Winter, berühre die Erde nicht und wachse nicht dem Sonnenlicht entgegen. Laut Steiner habe man "in den Kräften der Mistel das exakte Gegenbild zum Auseinanderweichen der Wesensglieder beim Entstehen der Krebskrankheit vorliegen, ein wirklich kausales Heilmittel", denn: "Die Mistel übernimmt als äußere Substanz dasjenige, was wuchernde Äthersubstanz beim Karzinom ist, verstärkt dadurch, dass sie die psychische Substanz zurückdrängt, die Wirkung des astralischen Leibes und bringt dadurch den Tumor des Karzinoms zum Aufbröckeln, zum In-Sich-Zerfallen.".
Die Misteltherapie stammt aus der von Rudolf Steiners Phantasien geprägten, anthroposophischen Medizin. Die Überlegungen Steiners sind rational nicht nachvollziehbar. Während der von Steiner in die Welt gesetzte Gedanke, dass Mistelpräparate tumorauflösend wirken, ohnehin vor längerer Zeit aufgegeben wurde, vertreten manche Therapeuten die Ansicht, dass Mistelsaft das Immunsystem stärke und leiten daraus eine indirekte Wirkung ab.
Grossarth-Maticek et al. haben dies 2001 nach einer Auswertung von Krebsfällen behauptet. Mittlerweile hat eine Überprüfung ergeben, dass das Design der Studie gängigen wissenschaftlichen Maßstäben nicht gerecht wurde. Solide Studien - die freilich nur im Zusammenhang mit einigen wenigen Krebsarten durchgeführt wurden - kamen zu dem Ergebnis, dass Mistelgaben die Heilungschancen nicht verbessern.
Die Popularität der Misteltherapie -nicht nur in alternativheilerischen Kreisen - ist ein schlagendes Beispiel dafür, dass Gerüchte im Zusammenhang mit Krankheiten große und langandauernde Wirkungen entfalten können. Auch Ärzte können sich mitunter diesen Gerüchten nicht entziehen. Die Wirkung der Mistel auf Tumoren ist eine soziale Konstruktion, die weder empirisch noch rational fundiert ist!
Auch wenn sich Immunreaktionen nach Mistel-Injektionen nachweisen lassen, ist damit noch keine Wirkung auf das onkologische Geschehen nachgewiesen.
Dass aber die Immunreaktionen nicht selten ein schwerwiegendes Problem darstellen,
ist mittlerweile gut bekannt, wird jedoch von naturkundlich therapierenden Ärzten oft verschwiegen.
U.a. dazu einige Hinweise aus dem Arzneimitteltelegramm:
arzneimitteltelegramm 1999; Nr. 9: 94
Anfrage: ZUM NUTZEN VON MISTELEXTRAKTEN (ISCADOR U.A.) BEI KREBS
Mich interessiert, ob es internationale Studien darüber gibt, ob die Mistelextrakte zusätzlich oder allein bei malignen Erkrankungen eine gesicherte therapeutische Basis haben (insbesondere bei Mamma-, Kolon- und Uteruskarzinomen). Soll man sie jetzt nur noch privat verschreiben, wenn kein gesicherter Nutzen besteht?
Dr. med. H. QUAST (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-49143 Schledehausen
Trotz über 70-jähriger Anwendung von Mistelextrakten (ISCADOR u.a.) bei Krebs sind bis heute keine methodisch einwandfreien randomisierten Studien veröffentlicht, die einen Nutzen im Sinne von Tumorremission, Lebensverlängerung oder auch nur besserer Lebensqualität belegen. 1994 haben holländische Autoren in einer systematischen Übersicht den Kenntnisstand aus kontrollierten Studien mit klinischen Endpunkten bewertet. Sie finden keine doppelblind angelegte Untersuchung. Nur in vier von elf Studien werden die Teilnehmer den Vergleichsgruppen adäquat randomisiert zugeordnet. Die methodisch beste Studie findet keinen Unterschied zwischen Mistelextrakten und Plazebo.
Vorrangig beforscht wird die immunmodulatorische Wirkung des Mistellektins.
Das Lektin fördert - wie im Übrigen andere pflanzliche Lektine auch - die Freisetzung von Zytokinen wie Interleukine und Tumornekrosefaktor alpha, von denen tumorhemmende Effekte bekannt sind.
Auch die Werbung stellt die immunmodulatorischen Effekte der Mistelextrakte in den Vordergrund ("Selbstverteidigung" "aktiviert die Abwehrkräfte") und kommt damit der verbreiteten Vorstellung entgegen, dass die "Stärkung des Immunsystems" vor Krebs schützen oder Krebs heilen kann. Klinisch manifestieren sich diese Effekte aber in erster Linie als schwerwiegende Immunerkrankungen wie Arzneimittelfieber (häufig als Heil- effekt fehlgedeutet), Anaphylaxie, Serumkrankheit oder LÖFGREN-Syndrom.
Experimentell ist für die durch Lektine vermehrt freigesetzten Zytokine auch ein stimulierender Einfluss auf verschiedene Krebszelltypen gesichert, etwa auf Zellen des Kolon-, Prostata- oder Mammakarzinoms sowie auf Non-HODGKIN-Lymphome und Leukämien.6 Bei einem 73-jährigen Patienten mit Non-HODGKIN-Lymphom, der ein Mistelpräparat erhält, bilden sich im Bereich der Injektionsstellen subkutane Lymphomknoten. Als Ursache vermuten die Autoren einen proliferativen Stimulus des Präparates, möglicherweise vermittelt durch Interleukin
Mistelextrakte gehören zu den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen (Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie). Acht Ampullen des meistverordneten ISCADOR kosten 77,75 DM, die Behandlung pro Jahr um 1.000 DM. Unabhängig von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erscheint uns in Anbetracht der wissenschaftlichen Datenlage die Nutzen-Risiko-Bilanz für Krebs-patienten negativ, -Red.
blitz arzneimitteltelegramm 01/17
Trotz über 70-jähriger Anwendung von Mistelextrakten bei Krebs mangelt es an methodisch einwandfreien randomisierten Studien, die einen Nutzen im Sinne von Tumorremission, Lebensverlängerung oder besserer Lebensqualität belegen (a-t 1999; Nr. 9: 94). Qualitativ gute Untersuchungen lassen keinen Vorteil von Mistelpräparaten gegenüber Plazebo erkennen. In der bislang besten Untersuchung an 477 Patienten mit Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich hat ein auf Mistellektin standardisierter Mistelextrakt keinen positiven Einfluss auf die Überlebenszeit.
Angesichts möglicher Risiken der "Immunmodulation" durch Mistellektine erscheinen weitere Untersuchungen dringend erforderlich: Experimentell ist für die durch Lektine vermehrt freigesetzten Zytokine auch ein wachstumsfördernder Effekt auf verschiedene Krebszelltypen beschrieben. Versuche an Ratten mit chemisch induziertem Harnblasenkarzinom weisen in die selbe Richtung. In einer soeben auf einem Kongress der amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (ASCO) vorgestellten randomisierten Studie mit 200 Personen mit fortgeschrittenem malignen Melanom und anderen Hauttumoren entwickeln 19% der mit Mistelextrakt behandelten Patienten Hirnmetastasen gegenüber 7% in der Kontrollgruppe. Bei einem Mann mit Non-HODGKIN-Lymphom bilden sich im Bereich der Injektionsstellen eines Mistelpräparates subkutane Lymphomknoten.
Angesichts der Datenlage erscheint uns die Nutzen-Schaden-Abwägung weiterhin negativ, -Red.
Die Zulassung von Iscador erfolgt in Deutschland aufgrund des Status der Anthroposophie als "besondere Therapierichtung", und damit im Rahmen des anthroposophischen Binnenkonsens.
Es findet also kein übliches Arzneimittelzulassungsverfahren statt, sondern der Arzneistoff bekommt sein Zulassung aufgrund der Meinung der jeweiligen Verfahrensanhänger, d.h. was die Anthroposophen für gut halten, wird zugelassen. Diese Absonderlichkeit gilt für andere europäische Länder nicht.
arzneimitteltelegramm 1990; Nr.9: 83
Der Zulassungsantrag des Schweizerischen Vereins für Krebsforschung für einen Extrakt aus Mistel (ISCADOR M) hat das schwedische Zulassungsverfahren nicht bestanden, weil neben anderen Umständen die pharmazeutische, pharmakologische, toxikologische und klinische Dokumentation des Pflanzenextraktes unzulänglich war.
Einen ganz aktuellen Überblick über den Forschungsstand (incl. Diskussion) liefert im Deutschen Ärzteblatt der DKFZ-Forscher Lutz Edler (Mistel in der Krebstherapie: Fragwürdige Ergebnisse neuerer klinischer Studien). Der Text ist zu finden unter:
Pianoman