Nein, Teetant, da muss nichts verschoben werden, der Beitrag gehört hier schon hin...
...weil es - neben der Darstellung und Diskussion der Widersprüche zwischen irrationaler Weltsicht und naturwissenschaftlicher Erkenntnis - wenigstens genau so wichtig ist, sich mit der - durch geschickte Lobbyarbeit ausgelösten - unübersehbaren Infiltration esoterischer Heilverfahren in unseren ganz normalen Alltag, intensiv auseinander zu setzen. Und was dabei herumkommen kann, zeigt Deine Geschichte.
Denn abgesehen davon, dass die heilpraktizierende Apothekerin mit ihrer Empfehlung vor allem deutlich macht, dass sie von genuiner Homöopathie (wie die meisten anderen Homöopathen auch) so gar keine Ahnung hat, ist es natürlich ein gravierender Beratungsmangel, für den Umgang mit infizierten Wunden, Abszessen o.ä. keine aseptischen oder antibiotischen Maßnahmen zu empfehlen, sondern einen behaupteten "Seelenkonflikt" als Krankheitsursache mit homöopathischen Mittelchen zu therapieren.
Hat für solche Absurditäten nicht die Apothekerkammer ein offenes Ohr ?
Was ich an Deinem Erlebnis allerdings besonders nachdenkenswert finde, ist nicht unbedingt die Empfehlung der Zuckerkügelchen - die sind hier nur austauschbares Mittel zum Zweck - sondern die laienhafte Psychosomatisierung banaler Erkrankungen.
Gerade dieser Trend, hinter jeder Gesundheitsstörung auch, vorrangig oder ausschließlich, einen psychischen Konflikt anzunehmen, ist mehr als bedenklich. Zum einen erspart diese Annahme die mühsame differentialdiagnostische Tätigkeit des Arztes - und rechtfertigt auch die Anamnese jedes noch so unwissenden Alternativ-Heilers -, zum anderen verlagert sich der Prozess der Heilung in den alleinigen Verantwortungsbereich des Patienten. Durch die Kombination - psychische Krankheitsursache & homöopathisches (o.ä.) Therapeutikum - werden mögliche exogene Faktoren ausgeblendet.
Wenn die chemisch generierte Kontaktdermatose der Hauswirtschaftlerin als Ausdruck einer seelischen Konfliktlage gesehen wird, und eben nicht als Folge fehlender Hautschutzmaßnahmen am Arbeitplatz, werden die wahren Ursachen einer Erkrankung - und deren Beseitigung - einem mystisch-magischen Heilskonzept geopfert, dass sich die Psychologie nur als Tarnmäntelchen umgelegt hat.
In den Extrembereichen der psychsomatischen Ideologie sind dann solche Figuren wie der Krebsscharlatan Ryke Geerd Hamer oder Gelsenkirchener Arzt Dr. Stemmann zu finden, der mit einem von psychotherapeutischen Denkansätzen dominierten Gelsenkirchener Behandlungsverfahren (GBV) vornehmlich Kinder mit Asthma oder Neurodermitis trakiert. Stemmann ist der Ansicht: (...) dass die Ursachen einer Krankheit stets in einer Gefühlsverletzung liegen, die den Erkrankten unerwartet getroffen hat ...“, und greift damit die Ideen Hamers auf, der seinerseits der Ansicht ist: „Jeder Krebs entsteht bei einem DIRK-HAMER-SYNDROM (DHA), d.h. einem allerschwersten, akut-dramatischen und isolativen Konflikt-Erlebnis-Schock.“ [Hamer, 1989, S.52]
Wer sich - wie die heilpraktizierende Apothekerin - auf diese Denkebene begibt, dem ist es schließlich auch egal, dass beispielweise die Homöopathie und vor allem die pharmazeutische Wirkung ihrer Mittel en gros und en détail bis zur Ermüdung widerlegt wurden. Es geht ja auch nicht um biochemische Wechselwirkungen sondern um "geistige Kräfte" und deren Einfluss auf die "Seele". Genau hier liegt auch die Austauschbarkeit der Mittel und Verfahren; denn letztlich ist es den Therapeuten egal, wie Einfluss auf "seelisches Geschehen" genommen wird.
Hier gewinnt ein Zweig einer mythischen Medizin zunehmend Einfluss, und das - aus bestimmten oberflächlichen, ideologisch gebundenen Blickwinkeln - völlig zurecht. Denn wer könnte schon von sich behaupten, frei von seelischen Konflikten, von emotionalen Abgründen zu sein ?
Und diese Sichtweise trifft auf ein meist unkritisches Publikum, dem der Mythos "Seele" viel näher steht, als die wissenschaftliche Erkenntnis über eine miese kleine Mikrobe, die ihrem Wirt durch eine Sepsis den Garaus bereitet, oder letztlich die genau so wissenschaftliche Erkenntnis, dass das Bronchialkarzinom eine Folge der Noxen ist, die mit jedem Lungenzug in die Bronchien gepfiffen werden; und eben nicht die Folge der Konflikte mit dem Ehepartner.
Aber solange es alternativen Heilern oder Medizinern auf Abwegen gelingt, soviel Empathie zu heucheln, dass der gepeinigte Patient vor allem seine emotionale Situation gewürdigt sieht, solange wird die Bereitschaft weiterhin anhalten, sich des eigenen Verstandes zu entledigen und der Alternative - "Credo, quia absurdum est" - Ich glaube es, weil es widersinnig ist - zu huldigen.
Pianoman