@ Jess
Zitat:
Hätte sonst viel Geld ausgegeben,denn ich bin eher dazu geneigt-es erstmal ohne Chemiekeule zu behandeln.
Naja, Jess, auch ein pflanzliches oder homöopathisches Mittel ist nur eine Ansammlung chemischer Substanzen.
Ich zeig es Ihnen mal kurz an einem Beispiel: Man nehme β-Phenyl-γ-hydroxypropionsäuretropylester, verdünne mit Dihydroxymonoxyd nach Verarbeitungschrift HAB auf eine Konzentration von 10-30, sprühe die erhaltene Lösung auf kugelförmige 4-(β-D-Galactopyranosyl)-D-glucopyranose und fülle nach Trocknung ab.
Ergebnis: Globuli von Belladona D30
Aber ich weiß, was Sie mit der Chemie-Keule meinen.
Nur sollte man bei der Verwendung dieses diskreditierenden Begriffs nicht vergessen, dass der größte Teil unserer Arzneien nicht von irgendwelchen Freaks im Labor zusammengebraut wird, sondern von Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen stammt. Eine der Hauptaufgaben der Pharmazie ist die Isolierung der Wirkstoffe, um diese möglichst rationell, in großen Mengen und damit preiswert herstellen zu können. Praktisch alle antibiotischen Substanzen werden als natürliche Stoffwechselprodukte von Bakterien, Pilzen und höheren Organismen (Pflanzen, Amphibien) gebildet. Sie dienen diesen Lebewesen als Abwehrmaßnahme gegen eine Infektion, oder um sich Selektionsvorteile im Ressourcenwettbewerb zu verschaffen.
Zur Arzneimitteltherapie verwendet man diese Substanzen nach voll- oder teilsynthetischer oder biotechnologischer Herstellung.
Ich denke, die beste Strategie im Umgang mit Arzneien besteht darin, grundsätzlich nur dann irgendwelche Substanzen einzunehmen, wenn es a) tatsächlich nötig ist und b) deren Wirksamkeit nachgewiesen wurde - was naturgemäß den Interessen der pharmazeutischen Industrie - egal ob konventionell oder alternativ - entgegensteht.
Was wir dringend brauchen - auch zur Orientierung des Patienten -, ist eine Positiv-Liste für wirksame Medikamente. Die allerdings fürchtet die Pharmaindustrie wie der Teufel das Weihwasser, denn unter der Hand wird gemunkelt, dass nur rund 20 % der derzeit auf dem Markt befindlichen Arzneien tatsächlich effektiv sind.
Horst Seehofer, noch als Gesundheitsminister unter Helmut Kohl, hatte einstmals versucht, diese Positiv-Liste zu etablieren, und ist damit schlicht gescheitert. Und zwar sowohl an der Pharmaindustrie, als eben auch am deutschen Patienten und dessen ungebrochene Leidenschaft für allen möglichen Tablettchen oder Tröpflein.
Wir sind halt ein Volk von Medikamenten-Junkies.
Zitat:
Aber wieso werden dann solche homöophatischen Medis auch noch frei verkäuflich in jeder Aphoteke angeboten!Das ist ja verführung pur.
Tja, Jess, das ist halt eine typisch deutsche Skandalgeschichte:
Als 1976 (noch unter dem Eindruck des Contergan-Katatstrophe) die dringend notwendige Novellierung des Arzneimittelgesetzes anstand, legte die Regierung Schmidt einen Gesetzentwurf vor, der auf einem kaum reglementierten Arzneimittelmarkt - mit einer Unzahl wirkungsloser und auch nicht ungefährlicher Medikamente - Ordnung schaffen sowie "Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel"( § 1 AMG) gewährleisten sollte, und zwar geprüft nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Das hätte das Ende zahlreicher unkonventioneller (nicht wissenschaftsbasierter) Therapierichtungen mitsamt ihren „Arzneien“ bedeutet.
Daraufhin setzte eine - von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet gebliebene - aber in dieser Form beispiellose Lobbyarbeit zur Bearbeitung des Parlaments ein, angeführt von den Anthroposophen im Umfeld der Anthroposophen-Uni, der Privaten Hochschule Witten-Herdecke.
Unter Missbrauch der wissenschaftstheoretischer Begrifflichkeiten wie "Methodenpluralismus" und "Wissenschaftspluralismus", wurde suggeriert, dass weltweit anerkannte Verfahren zum Wirksamkeitsnachweis bei Medikamenten nur bedingt tauglich wären, und nicht zuletzt die ärztliche Therapiefreiheit einschränken würden.
(Ich will an dieser Stelle die damaligen Vorgänge nicht weiter schildern, sondern verweise auf einen sehr detaillierten Artikel der Professoren Klaus-Dietrich Bock und Manfred Anlauf, die sich mit den Vorgängen in den 1970er Jahren intensiv auseinander gesetzt haben ( Klick ) )
Das Ergebnis der anthroposophischen Lobbyarbeit schließlich ist der Grund, Jess, warum Ihnen heute in Ihrer Apotheke - ohne Sinn und Verstand - Globuli & Co en masse offeriert werden dürfen: Man erfand für das Arzneimittelgesetz die "Besonderen Therapierichtungen", was bedeutet, dass für "anthroposophische Medikamente" für "Homöopathika" und "Phytotherapeutika", Sonderregelungen zur Zulassung als Arzneimittel gelten.
Um es auf den Punkt zu bringen: Praktisch alle Prüfungen, denen ein „normales Medikament“ unterzogen wird, sind für die Arzneien der obengenannten Therapierichtungen ausgesetzt.
Statt dessen werden Kommissionen gebildet, zusammengesetzt aus deren Vertretern der jeweiligen Therapierichtungen, die nach eigenen Maßstäben entscheiden. Dieses Verfahren heißt „Binnenanerkennung“ oder „Binnenkonsens“, und bedeutet nichts anderes, dass jedwede Therapierichtung für sich beschließen kann: „Unser Zeug ist wirksam.“
Und als ob dieser Unsinn noch nicht reichen würde, wurde auch noch eine Passage ins Gesetz eingefügt, nachdem - wenn begründeter Zweifel an der therapeutischen Tauglichkeit eines Medikaments besteht - ausgerechnet die Zulassungsbehörde den Beweis zu erbringen hat, dass das Zeug nicht wirkt.
Man muss sich das einmal auf andere Lebensbereiche übertragen vorstellen:
Da baut ein Autohersteller ein Auto, welches ohne Rad-Bremsen ausgestattet ist, dafür aber ein kleines Segel besitzt, das zum Zwecke der Geschwindigkeitsreduzierung in den Fahrtwind gehalten wird (man ist davon überzeugt, dass das Abbremsen des Fahrzeugs auch so funktioniert).
Die Zulassungsbehörde darf - nachdem sie sich vom Schock erholt hat - , das Inverkehrbringen des Autos nicht untersagen, weil der Autoproduzent zu einer Gruppe von Herstellern gehört, für die besondere Regelungen gelten.
Dann passiert, was passieren muss: Unfälle ohne Ende.
Und nun muss die Zulassungsbehörde ihrerseits - mittels aufwendiger Untersuchungen - nachweisen, dass das Brems-Verfahren für den Straßenverkehr nicht tauglich ist...
Wie schon oben gesagt, die gesetztlichen Regelungen zu den besonderen Therapierichtungen sind ein Skandal, und sie zeigen uns in aller Deutlichkeit, dass auf dem Gebiet der alternativen Heilerei keineswegs eine "sanfte" Medizin betreiben wird, die einem mit ihrer Patientenfürsorge die Tränen der Rührung in die Augen treibt.
Es geht simpel um Geschäft: In Deutschland werden etwa 500 Millionen Euro jährlich für homöopathische Medikamente ausgegeben, etwa 1 Milliarde Euro sind es im gesamten europäischen Raum für eine unsinnige Therapie, die in allen ihren Elementen mit gesichertem Wissen inkompatibel ist.
Mit der Gesamtheit der Quacksalberverfahren - deren Lokomotive immer noch die Homöopathie ist - wechseln jährlich allein in Deutschland rund 9 Milliarden Euro den Besitzer. 4 Milliarden davon gehen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen.
Was nun die politische Verantwortung für die zweifelhaften Sortimentsbestandteile unserer Apotheken angeht: Der größte Teil der Parlamentarier, die damals in den 1970er Jahren das Gesetz verabschiedet haben, waren weder Ärzte noch Naturwissenschaftler - sie wurden schlicht getäuscht, und hatten wohl auch nur geringe Vorstellungen von den Konsequenzen dieses Gesetzes.
Fairerweise muss gesagt werden, dass Bundesinstitutionen schon seit Jahren mühevoll versuchen, den sinnlosen Therapieverfahren ein Ende zu bereiten. Gegen den breiten Widerstand der Grünen beispielsweise.
Nur hat sich die Zusammensetzung des Bundestages hinsichtlich der dort vertretenden Berufsstände seit damals nicht großartig verändert, die nachfolgende Statistik spricht Bände ( Klick ).
Ohne hier Parteipolitik machen zu wollen: Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen und Angehörige des Gesundheitsausschusses des Bundestags, Birgitt Bender, ist Juristin, und damit gerade zu typisch; was im übrigen auch für die anderen Vertreter der Grünen im Gesundheitsausschuss gilt: Die Vertretung für Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckhardt ist Theologin, Maria Klein-Schmeink ist Soziologin, ihr Vertreter, Uwe Kerkeritz ist Volkswirt, Elisabeth Scharfenberg ist Sozialpädagogin, deren Vertreterin Susanne Kieckbusch ist Lehrerin, und dann haben sie tatsächlich doch noch einen Arzt, Harald Terpe. Diesen Fehler korrigieren sie aber wieder schnell mit dessen Stellvertreter, Markus Kurth, einem Politologen.
Bei den anderen Parteien ist es kaum anders: Insgesamt sind unter den 74 Mitgliedern (incl. Stellvertretern) genau 6 Ärzte zu finden, dazu 3 Ausschussangehörige, die beruflich etwas mit Medizin bzw. Lebendwissenschaften zutun haben.
Die Frau Bender jedenfalls vertritt sehr offensiv folgende Auffassungen:
Zitat:
Die klare Mehrheit für die Stärkung der Komplementärmedizin in der Schweiz sollte für Deutschland ein Ansporn sein, Behandlungsmethoden wie Anthroposophie, Homöopathie oder Akupunktur gleichberechtigt in der medizinischen Versorgung zu berücksichtigen.
Zitat:
Im Rahmen der aktuellen Arzneimittelgesetznovelle kämpfen wir Grünen dafür, dass von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelungen, die negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von anthroposophischen, homöopathischen und traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln haben, verhindert werden.
Zitat:
“Wir lehnen allerdings die weit verbreitete Haltung ab, dass Wirksamkeitsprüfungen ausschließlich über randomisierte und placebo-kontrollierte Doppelblindstudien (wissenschaftliche Studien, in deren Rahmen z.B. Arzneimittel getestet werden) erfolgen könnten. Diese Haltung ignoriert die methodischen Grenzen dieser Studien und auch die besondere Wirkungsweise komplementärmedizinischer Behandlungsformen.”
Zitat:
Insbesondere begrüßen wir die Aufnahme von ausgewählten Naturarzneimitteln unter bestimmten Indikationsstellungen in die Liste erstattungsfähiger Arzneimittel und die Entscheidung, dass auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie für schwerwiegende Krankheiten verordnungsfähig bleiben
Wer sich also Illusionen darüber macht, wie die möglicherweise nächste Regierung Medizin-Politik betreiben wird:
Zitat:
Ich stehe in regelmäßigem Austausch mit dem Dachverband der Anthroposophischen Medizin in Deutschland, der Hufelandgesellschaft und anderen Verbänden. Gemeinsam ist es uns immer wieder gelungen, deutliche Verbesserungen gegenüber den ursprünglichen Gesetzentwürfen zu erzielen.
Deshalb, Jess, werden wir auch weiterhin mit Globuli & Co zugehauen werden.
Als kritischer Mensch bleibt mir nur die Frage, wie viel Probleme im Gesundheitswesen sich schon erledigt hätten, wenn wir über Politiker verfügen würden, die ihre Energie nicht bei der Zementierung von Unsinn verschwenden, sondern in Überlegungen investieren würden, die wenigstens irgend etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Als Konsument und Patienten mache ich es mir einfach. Wenn mir eine Verkäuferin in der Apotheke mal wieder so Globuli und ähnlichen Quatsch verkaufen möchte, frage ich so laut, dass der Rest der Anwesenden es deutlich versteht: "Ich dachte, ich wäre hier in einer Apotheke, ich dachte, hier gibt´s wirksame Arzneien. Und jetzt wollen sie mir Zuckerkügelchen verkaufen?"