Sind Pumps und High Heels Schuld an der gefürchteten Schiefzehe? Was hilft im Falle einer Erkrankung? Und wie kann ich mich schützen? Antworten auf diese und weitere Patientenfragen von Dr. Thomas Schneider, leitender Orthopäde und Fußspezialist der Gelenk-Klinik Gundelfingen.
Herr Dr. Schneider, warum leiden so viele Frauen unter Hallux valgus?

Dr. Schneider: In der Tat sind drei von vier Patienten Frauen. Grund dafür sind die genetische Veranlagung und ein schwaches Bindegewebe. Aber auch Deformationen durch hohe Absätze oder zu enge Schuhe können einen Hallux valgus verursachen.

Ist falsches Schuhwerk ein entscheidender Auslöser?

Dr. Schneider: Schuhe spielen bei der Entstehung des Hallux valgus schon eine beträchtliche Rolle. Nicht nur enge, hohe Schuhe sind ein Problem. Grundsätzlich haben Menschen, die ständig Schuhe tragen, schwächere Fußmuskeln als Menschen, die oft barfuß laufen. Wir schützen unsere Füße durch die Schuhe zwar vor Verletzungen. Aber wir nehmen ihnen dadurch auch die Möglichkeit, ihrer Funktion als Greif- und Sinnesorgan gerecht zu werden. Dadurch verkümmern unsere Füße in gewisser Weise.

Genügt Barfußlaufen daheim, um dem entgegenzuwirken?

Dr. Schneider: Nein, barfuß in der Wohnung zu Laufen ist bei weitem nicht genug. Denn die meist glatten und harten Böden stimulieren den Fuß zu wenig. Hilfreich ist Barfußlaufen auf unebenem Gelände wie Wiesen, Kieselwegen oder Stränden, wo Füße mit Dingen wie Blätter, Sand, Tannenzapfen, Gras oder Kies „kommunizieren“ können.

Gibt es weitere entscheidende Ursachen für einen Hallux valgus?

Dr. Schneider: Manchmal ist ein Hallux valgus auch Folge eines Unfalls - beispielsweise wenn sich jemand den Zeh angeschlagen hat, und dabei Anteile der Gelenkkapsel zerreißen. Es entsteht dadurch ein Ungleichgewicht der Weichteile. Die natürliche Balance der Zugkräfte geht verloren. Weitere Ursachen können auch Schädigungen durch rheumatische Erkrankungen sein.

In welchem Alter tritt die Erkrankung meist auf?

Dr. Schneider: Häufig macht sich die Erkrankung bereits in der Jugend bemerkbar. Ich habe viele Patienten, die schon als 17-, 18-jährige eine Fehlstellung der Großzehe haben.

Können konservative Methoden im frühen Stadium helfen?

Dr. Schneider: Im Anfangsstadium können konservative Maßnahmen die Beschwerden lindern. Dazu zählen Fuß- und Zehengymnastik ebenso wie Schaumstoffpolster und Hallux-valgus-Schienen zur Schmerzlinderung. Zurückdrehen lässt sich der Prozess der Fehlstellung natürlich nicht. Aber je besser die Fußmuskulatur ausgebaut ist, umso besser kann der Ist-Zustand erhalten werden. Der Patient hat die Möglichkeit, dem Fuß insgesamt eine bessere Konstitution zu geben.

Gilt das für jedes Alter?

Dr. Schneider: Ja, auch wenn die Fehlstellung zu einem gewissen Grad bleibt, können die oft heftigen Schmerzen zumindest reduziert werden. Bei einer schweren, nicht ausgleichbaren Fehlstellung, bei der eventuell auch bereits benachbarte Zehen teilweise betroffen sind, greift die spezielle Physiotherapie nicht mehr so richtig. Dies ist beispielsweise bei Hammer- und Krallenzehen der Fall.

Dann muss operiert werden?

Dr. Schneider: Ja, wenn die Fehlstellung so weit fortgeschritten ist, dass sie sich weder aktiv noch passiv korrigieren lässt, bleibt nur die OP. Dabei wird der Knochen durchtrennt und dessen Achse wieder gerade ausgerichtet. Insbesondere in frühen Krankheitsstadien reichen minimal-invasive, das heißt gewebeschonende, mit kleinsten Schnitten durchgeführte Verfahren häufig aus. Oft kommen implantatfreie Verfahren zum Einsatz, ohne Schrauben oder Metallteile.

Werden die OP-Verfahren individuell auf den Patienten abgestimmt?

Dr. Schneider: Ja, denn der Hallux valgus ist eine Sammeldiagnose für sehr unterschiedliche Krankheitsprozesse. Die Therapie muss dem individuellen Zustand gerecht werden. Dabei sind Anamnese, klinisches Bild, Alter, Lebensweise, Geschichte und Anspruch des Patienten von Bedeutung. Selbst die gewünschte Nachbehandlungszeit sollte berücksichtigt werden. Zudem sind die Begleitumstände sehr unterschiedlich. Häufig kommt man um eine Versteifung eines Teils der Fußwurzel nicht herum, um langfristig ein gutes Ergebnis zu erzielen. Bei erblich belasteten Patienten hingegen ist häufig zugleich eine sehr starke Fehlstellung der Mittelfußknochen zueinander das Problem. Hier sind im Detail andere operative Vorgehensweisen gefragt.

Wie viele Ihrer Patienten können nach dem Eingriff bzw. nach der Heilung schmerzfrei gehen?

Dr. Schneider: Laut Aussagen unserer Patienten und klinischer Studien sind 85 bis 95 Prozent mit dem Ergebnis einer Operation zufrieden. 100 Prozent sind leider nicht erreichbar. Denn hat ein Patient beispielsweise eine ausgeprägte Arthrose durch eine langjährige Fehlstellung im Gelenk, so wird das Ergebnis weniger gut ausfallen.

Wovon hängt der Erfolg einer OP grundsätzlich ab?

Dr. Schneider: Der Erfolg eines Eingriffs hängt generell stark davon ab, zu welchem Zeitpunkt die Behandlung beginnt, wie konsequent die Nachbehandlung durchgeführt wird und wie sehr der Patient motiviert ist. Die Rezidivquote, also die Rate erneuter Fehlstellungen, liegt laut Fachliteratur bei etwa ein bis drei Prozent.

Ca. 97 Prozent haben also keine Probleme mehr nach der OP?

Dr. Schneider: So ist es. Diese Patienten haben in der Regel bis zum Lebensende keine erneute Fehlstellung.


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