AW: Depression in Remission?
Hallo catan,
zuerst zu deiner Frage: Wenn du mit psychischen Problemen nicht klar kommst, ist es immer gut, diese mit einem Psychologen aufzuarbeiten.
So wie du die Sache geschildert hast, war diese Art von Depression eine Form, Trauer, Ängste und Minderwertigkeitskomplexe auszudrücken. Tiefe Depressionen, die von einem Psychiater behandelt werden müssen, vergehen nicht von selber.
Ich möchte dir einfach mal meine Sichtweise der Dinge, die du erlebt hast, aufzeigen. Kann ja sein, dass ich mich irre, aber ich habe selber schon so viel erlebt und bin durch viele tiefe Täler gegangen, so dass ich auch ein bisschen mitreden kann.
In deiner Kindheit, so scheint mir, hast du dein ganzes Selbstbewusstsein aus deinen überdurchschnittlichen Leistungen und aus der übermäßigen Zuwendung durch deine Eltern gezogen. Leider haben sie dich nicht gelehrt, dass du auch ohne Leistungen ein wertvoller Mensch bist. Jeder Mensch ist ein Kind Gottes, und deshalb haben wir alle unseren Wert, egal was wir leisten. Wenn Kinder verhätschelt werden und ihnen alles abgenommen wird, bekommen sie oft unbewusst das Gefühl, dass man ihnen nichts zutraut. Daher rühren viele Minderwertigkeitskomplexe.
Wenn die Eltern sich scheiden lassen, geben sich die Kinder oft selber die Schuld daran. Wenn man nicht vernünftig mit ihnen spricht, weil man meint, sie würden es nicht verstehen, lässt man sie im Ungewissen und die Schuldgefühle bekommen Nahrung. Es ist klar, dass für dich eine Welt zusammengebrochen ist. Und noch dazu in der Pubertät, die eine Selbstfindungsphase sein sollte, bei dir war Untergangsstimmung. Das ist nur schwer zu verkraften, und noch schwerer, wenn man damit allein gelassen wird. Du hast dich damals in deinem Schmerz zurückgezogen und ihn nie wirklich verarbeitet, nur verdrängt und weggeschoben.
Später hast du geglaubt, Beziehungen zu Männern könnten dir ein Selbstwertgefühl geben. Aber das stimmt nicht. Man darf nie von jemandem so etwas erwarten, denn das geht immer in die Hose. Nicht der beste Mann auf der Welt kann die Leere und Hoffnungslosigkeit in dir ausfüllen. Das musst du selber lernen, indem du deine eigene Mitte findest, in der Gott wohnt. Nur so kannst du die Leere überwinden, und erst dann wirst du wirklich beziehungsfähig. Erst dann kannst du dich selber, so wie du einfach bist, akzeptieren und mögen.
Du hast Verletzungen, die nie geheilt sind, sie schwelen und sind eitrig und tun weh. Sie müssten freigelegt und behandelt werden. Du musst dir selber klar werden, dass du einfach so ein wertvoller Mensch bist, egal was du tust oder nicht tust oder wie du bist oder nicht bist. Dein jetziger Freund hat das anscheinend erkannt. Kannst du nicht mit ihm das alles besprechen? Vielleicht kann er dir helfen, durch Gespräche deine schlimmen Erlebnisse aufzuarbeiten. Du kannst schon zu einem Psychologen gehen, aber du musst erst mal sehr lange auf den ersten Termin warten, und zudem dauert es auch eine längere Zeit, bis du alles aufgearbeitet hast.
Soviel für den Moment. Ich hoffe, dass ich dir ein paar Denkanstöße geben konnte. Wenn du da weiterreden willst, schreib gerne wieder.
Alles Liebe und Gute!
AW: Depression in Remission?
Hallo catan,
ein paar Dinge fallen mir dazu noch ein:
1. Du kannst nichts dafür, wie du erzogen wurdest. Alle Eltern machen Fehler, meine konnten mir auch kein Selbstwertgefühl geben, wahrscheinlich, weil sie es selber nie gelernt haben.
Deine Eltern haben den Fehler gemacht, dir eine heile Welt vorzugaukeln, obwohl sie das Beste für dich wollten, aber sie haben's auch nicht anders gewusst. Sie hätten dich aufs richtige Leben vorbereiten sollen, und das verlangt nun mal, dass man bestimmte häusliche Aufgaben erfüllt und Pflichten übernimmt, und sie hätten dir nicht die heile Ehe vorspielen sollen. Aber ich kann sie im letzten Punkt auch gut verstehen, weil man nicht will, dass die Kinder drunter leiden, wenn man nicht miteinander klar kommt. Mit all dem hast du ein falsches Bild vom Leben bekommen, und da sind die Enttäuschungen vorprogrammiert. Aber mit Schuldzuweisungen ist hier niemandem gedient, also gib weder dir noch deinen Eltern die Schuld dafür. Es ist halt mal so, man muss das Beste draus machen.
2. Dass die Noten schlechter werden und man nicht mehr motiviert ist, dass man sich abkapselt und keine emotionale Bindung verspürt, dass man gereizt ist und in nichts mehr einen Sinn findet, das alles ist völlig normal in der Pubertät, das habe ich auch so empfunden, obwohl unsere Familie intakt war und ich nie verhätschelt worden war. In dem Alter muss man sich selber erst kennenlernen, man merkt, dass die Welt doch anders ist, als man sich es vorgestellt hat, man sieht plötzlich die Fehler der Eltern und findet sie blöd. (Ein Bekannter sagte mal humorvoll, aber sehr treffend dazu: Man merkt, dass man in der Pubertät ist, wenn die Eltern plötzlich so blöd geworden sind.) Man ist grundsätzlich gegen alles, was die Eltern sagen und tun, und will sich selber austesten, weil man ja eigentlich "alles selber kann". Das Ganze ist sehr wichtig für den Ablösungsprozess. Da würde was gewaltig schieflaufen, wenn man in dieser Zeit immer mit den Eltern gut klarkommen würde. Ich habe selber 3 Kinder großgezogen und musste und konnte das als Mutter auch akzeptieren.
3. Deine depressive Phase kam wohl aus dem Zustand der Enttäuschung, und da dir jeder Wunsch erfüllt worden war, konntest du nie lernen, mit Enttäuschungen zurechtzukommen, deshalb hast du sie so empfunden, als würdest du dich nie wieder davon erholen. Ja, Enttäuschungen sind schon was Schlimmes, aber man muss dann immer zur Einsicht kommen, dass man sich von etwas ein falsches Bild gemacht hat, das nun zerplatzt ist wie eine Seifenblase.
4. Du hattest auf deine Fragen, woher all dein Schmerz kommt, nur die eine Antwort: "Ich bin selber dran schuld. Immer passiert mir sowas." Das hat die folgenden Jahre geprägt, was sich auch auf deine Beziehungen ausgewirkt hat. Du musst davon wieder wegkommen und dir sagen: "Das Leben war eben so, da kann man nichts mehr ändern. Aber ich kann meine Zukunft so gestalten, dass ich lerne, wirklich glücklich zu werden, egal ob mit oder ohne Mann. Denn ich bin unglaublich viel wert, darum kann ich einfach so die schönen Dinge im Leben annehmen und glücklich sein."
5. Das wirkliche Glück eines jeden kann nie von der Beziehung zu anderen kommen, es muss aus einem selber kommen, erst dann kann man auch andere glücklich machen. Erst wenn man sich selber annimmt - mit allen Stärken und Schwächen, dann kann man sich selber mögen. Erst dann erkennst du, dass eine gelingende Beziehung nicht davon abhängt, wieviel du für den anderen tust, damit es ihm gut geht. Du darfst und sollst auch für dich selber sorgen, damit es dir gut geht. Es heißt nicht umsonst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Fang einfach mal an, das Gute in dir zu sehen. Wenn du nichts sehen kannst, frag deinen Partner oder evtl. eine Freundin, die ehrlich mit dir ist. Ich bin sicher, sie werden mehr Gutes von dir erzählen können als Fehler, und das darfst du auch annehmen. Schreib mal alles auf, was in dir Gutes ist, sonst vergisst du es gleich wieder beim nächsten Problem. Denk immer daran, dass jeder Mensch wertvoll und liebenswert ist, auch du.