Liebe Leute!
Es geht nicht um mich, sondern um meinen 87jährigen Vater. In letzter Zeit geht es ihm körperlich nicht gut, er hat Gehprobleme und einen Herzfehler, der operiert werden müßte. Mein Vater lehnt aber jede Operation ab. Geistig ist er voll da, er verfolgt das Tagesgeschehen, spielt regelmäßig Sudoko und Schach und erledigt alle Hausarbeiten. Nur das Einkaufen habe ich teilweise übernommen. - Leider ist er ziemlich schwerhörig geworden, will aber kein Hörgerät haben. Manchmal versteht er ein Wort beim dritten Versuch immer noch nicht, was die Kommunikation für beide Seiten unerfreulich macht. Wenn im Treppenhaus jemand geht, hört er es im Wohnzimmer nicht.
Das war nur die Einleitung, die eigentliche Geschichte kommt jetzt:
Mein Vater sagt schon seit Monaten, daß er nachts hört, wie die Nachbarin laut herumkeift und ihren Mann auffordert, endlich etwas zu unternehmen. Angeblich ist mein Vater nachts zu laut, wenn er sich im Bett umdreht. Die Schlafzimmer liegen nebeneinander, so daß mein Vater und die Nachbarn sozusagen Kopf an Kopf liegen, mit der Wand dazwischen. Zu lautes Umdrehen kann man sich nicht so recht vorstellen. Wenn mein Vater nachts zur Toilette geht, schimpft die Nachbarin erneut wegen des Lärms der Wasserspülung, obwohl die Toilette von ihrem Schlafzimmer recht weit entfernt liegt. Angesprochen wurde mein Vater darauf noch nie, er hört nur das nächtliche Geschimpfe.
Im Haus gibt es eine weitere Lärmbelästigung, die von einer anderen Wohnung ausgeht, welche eine Etage tiefer liegt. Mehrmals in der Woche sollen gegen 1 Uhr in der Nacht schätzungsweise 30 Personen die Wohnung verlassen und lautstark die Treppe hinuntertrampeln. Vor dem Abmarsch benutzen natürlich viele von ihnen die Toilette, was die Nachbarin wiederum auf die Palme bringt. Mein Vater hört ihr Geschimpfe durch die Wand.
Am Morgen kommt es nochmals zu einer Störung. Die Nachbarn haben offenbar einen Wecker, der nicht klingelt, sondern einen aufgenommenen Text abspielt: "Aufstehen! Aufstehen!" Das ist schon lästig, aber dann ruft die Nachbarin zusätzlich mehrmals "Herr N. [Name meines Vaters] muß jetzt aufstehen!" Am Neujahrsmorgen rief sie sogar "Beide Herren N. müssen jetzt aufstehen!", weil sie irrtümlich annahm, daß ich die Silvesternacht dort verbracht hatte; ich war aber nur zu Besuch, wie jeden Samstag.
Wenn die Frau tatsächlich Nacht für Nacht diese Ausrufe von sich gibt, hat sie wohl eine psychische Störung. Aber ist es so?
---
Nachdem mein Vater heute wieder die Geschichte erzählt hatte, sagte ich im Hinblick auf seine Schwerhörigkeit: "Jedenfalls verstehst du die Nachbarin besser als mich!"
Mein Vater war sofort schwer beleidigt, weil er meinte, ich wollte andeuten, daß er sich die Geräusche und Stimmen nur einbildet. Ich muß zugeben, daß ich das tatsächlich glaube. Es war wohl ein Fehler, aber ich wollte ihm nur einen unterschwelligen Denkanstoß geben, damit er vielleicht von selbst auf die Idee kommt. Es sollte nur wie eine beiläufige Bemerkung klingen, aber er hat sie gleich in den richtigen Hals bekommen. In Zukunft will er mir "nichts mehr erzählen", weil ich ihm angeblich Demenz unterstelle. (Tu ich gar nicht.)
Normalerweise würde man nicht unbedingt an Halluzinationen denken, bekanntlich gibt es keifende Nachbarn. Fakt ist aber, daß mein Vater an akustischen Halluzinationen leidet! Seit dem Tod meiner Mutter vor drei Jahren (nach 60jähriger Ehe) hört mein Vater Musik, die nicht existiert. Anfänglich dachte er, daß jemand im Haus immer wieder die alten Schnulzen abspielt, fast immer dieselben Lieder. Aber irgendwann hörte mein Vater die Musik auch außer Haus, so daß er erkannte, daß die Musik nur in seinem Kopf abläuft.
Und ich denke nun, daß jemand, der nicht existierende Musik hört, auch nicht existierende Stimmen hört. Eigentlich ein naheliegender Gedanke; Stimmenhören gibt es viel häufiger als Musikhören. Vielleicht deutet die heftige Reaktion meines Vaters darauf hin, daß er heimlich auch schon daran gedacht hatte. Anderenfalls hätte er meine Bemerkung womöglich gar nicht sofort richtig eingeordnet.
Es geht ihm nicht gut, aber er lehnt jede ärztliche Hilfe ab. Ich fürchte, dies ist sein letzter Winter. Es tut mir leid, daß es nun zu einer Verstimmung gekommen ist, nachdem wir seit dem Tod meiner Mutter gut miteinander ausgekommen waren, was in früheren Jahren absolut nicht der Fall war.
Ich habe gar keine Frage, aber vielleicht fällt jemandem etwas dazu ein.
Schönen Gruß
C.