Vom Dialog ohne Inhalt...
Laut gängiger Definition werden unter dem Begriff "Komplementärmedizin" (wahlweise auch: Alternative Heilverfahren, Paramedizin) unterschiedliche Heilverfahren oder diagnostische Konzepte verstanden, die eine angebliche Alternative oder eine sinnvolle Ergänzung zur Wissenschaftsmedizin darstellen sollen.
Dabei wird die Wissenschaftsmedizin von den Anhängern der verschiedenen komplementärmedizinischen Verfahren zur Abgrenzung und nicht selten auch zum Zwecke der Abwertung (im homöopathischen Jargon) als „Schulmedizin“ bezeichnet.
Die im deutschsprachigen Raum bekanntesten alternativen Heilsysteme sind die Homöopathie, die Anthroposophische Medizin, die Phytotherapie, und die Akupunktur als Therapiemethode der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).
Ich habe mich innerhalb dieses Forums bisher mit den etablierten "Besonderen Therapieneinrichtungen" Homöopathie und Anthroposophische Medizin beschäftigt, weil diese Verfahren - neben der Phytotherapie - zu den sogenannten "Besonderen Therapiemaßnahmen" im Sinne des Sozialgesetzbuchs gehören, und damit nicht nur zu den abrechnungsfähigen Kassenleistungen zählen, sondern auch über einen Sonderstatus in Sachen Medikamentenzulassung bzw. therapeutische Wirksamkeitsnachweise verfügen.
Das heißt im Klartext, diese Therapieverfahren müssen faktisch weder die Wirksamkeit ihrer Verfahren noch die Wirksamkeit ihrer Medikamente nachweisen, obwohl die Solidargemeinschaft der Versicherten die Kosten (komplett oder teilweise) für die Behandlungen trägt.
Dazu addieren sich Verfahren, die z.Tl. auch von Ärzten, meist aber von Heilpraktikern oder "anderweitig qualifizierten" Heilern angeboten werden, und das zu meist nicht nachvollziehbaren, oft übermässig hohen Kosten für die Patienten.
Sowohl aus ethischen als auch aus ökonomischen Überlegungen muß in Zeiten finanziell extrem belasteter Sozialversicherungen dringend darüber nachgedacht werden, ob diese Verfahren ihrem Anspruch, eine sinnvolle Ergänzung unseres wissenschaftsmedizinischen Gesundheitssystems zu sein, auch nur annährend gerecht werden.
Der sogenannte Dialog...
Die Ärztekammer hat im Jahr 2000 eine Arbeitsgruppe gebildet mit dem Ziel, "einen strukturierten Dialog zwischen Vertretern unterschiedlicher Therapierichtungen zu initiieren und letztlich zu einer patientengerechten Integration verschiedener therapeutischer Schulen beizutragen. Bisherige Auseinandersetzungen zwischen Schul- und Komplementärmedizin, die gelegentlich Glaubenskriegen ähnelten, sollten in einen rationalen Diskurs überführt werden."
Aber ist dieser Dialog überhaupt möglich ?
Dazu ist zuerst zu klären, was die zentralen Kennzeichen einer evidenzbasierten Medizin und im Gegensatz dazu die der "Komplementärmedizinischen Verfahren" sind:
Hochschulmedizin zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf den Fundamenten einer aufgeklärten Wissenschaft beruht, also im Idealfall ihre Annahmen aus möglichst weitgehend oder vollständig abgesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zieht, und aus diesen Erkenntnissen ihre Modelle zur Krankheitsentstehung und Therapie ableitet. Diese Modelle und Verfahren werden durch umfangreiche Forschungsarbeit ständig überprüft und ggf. an neue Erkenntnisse angepasst.
Sie ist also (im Idealfall) undogmatisch, zur Selbstkritik in der Lage und damit entwicklungsfähig.
Komplementärmedizinische Verfahren beruhen im Regelfall auf einer dogmatischen, meist auf ein bestimmte Person bezogene Lehre, deren Elemente im naturwissenschaftlichen Sinne weder überprüfbar noch beweisbar sind. Üblicherweise beziehen sich alternativmedizinische Verfahren auf sogenannte Axiome. Axiome sind Grundsätze, die sich nicht beweisen lassen, im weitesten Sinne also Glaubenssätze.
In den Bereichen, wo "Alternative Heilverfahren" den Methoden einer wissenschaftlichen Überprüfbarkeit zugänglich sind und überprüft wurden, wurde ihre Wirkung widerlegt oder es konnten keine ausreichenden Hinweise für eine Wirksamkeit gefunden werden bzw. die Wirksamkeit ging nicht signifikant über einen Placeboeffekt hinaus.
Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass solche Verfahren keine (natur-)wissenschaftliche Basis haben, weder vorklinisch noch klinisch bezüglich der Wirkungen und Nebenwirkungen ausreichend geprüft sind und dass ihre Erfolge weder mit den üblichen statistischen Methoden noch mit Hilfe anderen objektiven Kriterien zu belegen sind. Die Erfolgsnachweise von Seiten der Anwender stützt sich üblicherweise auf subjektive Erfahrungen an einzelnen Patienten, da aus alternativmedizinischer Sicht, die wissenschaftliche Methodik zum Nachweis eines Wirkungszusammenhanges als ungeeignet angesehen werden muss, da viele der Wirkungen sich unter den kontrollierten Bedingungen einer wissenschaftlichen Studie nicht nachweisen ließen. Dies bedeutet jedoch, dass man die behauptete Wirkung nicht beobachten kann, ohne Manipulation oder (Auto-)Suggestion ausschließen zu können.
Deswegen sind die "Komplementärmedizinischen Verfahren" irrationale, dogmatische, autoritäre, in sich geschlossene Heilslehren, die keinen Widerspruch zum jeweiligen Verfahren zulassen, und damit gegen die Prinzipien aufgeklärter, falsifizierungsfähiger Wissenschaft verstossen. Aufgrund ihrer Personenbezogenheit (z.B. Hahnemann, Steiner) ist eine Weiterentwicklung so gut wie unmöglich.
...und warum es diesen Dialog nicht geben kann.
Kann unter der Bedingung solch unterschiedlicher Fundamente überhaupt ein Dialog entstehen ?
Nach meiner Auffassung ist das der Versuch einer Quadratur des Kreises; eine schlichte Unmöglichkeit. Dazu ein Beispiel, dass ich auch schon in einem anderen Beitrag verwendet habe:
Für die Wissenschaftsmedizin sind in Impfungen eine hervorragende Methode, schwerwiegende, oft tödliche epidemische Erkrankungen, die auf Infektionen mit Mikroorganismen beruhen, zu verhindern. Durch weltweite Impfprogramme sind so grauenhafte Erkrankungen wie die Pocken oder die Kinderlähmung weitgehend oder ganz verschwunden.
Anthroposphische Mediziner, vor allem aber Homöopathen sind da ganz anderen Auffassung. Nach ihrer Ansicht sind Krankheitserreger eher Helfer des Menschen bei der Bewältigung von Krankheitszuständen.
Zitat: Erst in dieser zweiten Phase der Erkrankung treten vermehrt die sogenannten "Erreger" auf, die eigentlich überhaupt keine echten Initiatoren (Verursacher) der Erkrankung sind, sondern bestenfalls ihre Indikatoren (Anzeiger).Dies wissen die Homöopathen schon seit langem, spricht doch Hahnemann - er lebte in der vor-bakteriologischen Zeit! - schon vom krankmachenden Agens und meint nicht etwa Mikroben, sondern ein immaterielles geistartiges Agens!
Und weiter ist dann zu lesen:
So entzünden sich Mandeln nicht deshalb, weil sich Erreger auf ihnen niedergelassen haben, sondern weil eine Störung im Organismus diese bestimmten Bakterien vermehrt für das Heilungsgeschehen benötigen. Diese von der Schulmedizin als „Erreger" bezeichneten Bakterien sind also in Wirklichkeit unsere Helfer und niemals krankheitsverursachend! Es ist sogar so, dass die behaupteten krankmachende Viren nicht existieren, wovon sich jeder leicht durch Nachfragen nach den wissenschaftlichen Publikationen der behaupteten krankmachenden Viren bei den Gesundheitsbehörden und Laboren überzeugen kann.
Wie soll unter dermaßen unterschiedlichen Denkpositionen das ergänzende Zusammenspiel von Wissenschaftsmedizin und Homöopathie eigentlich aussehen? Auf der einen Seite die Hochschulmediziner, die sich bemühen, schwerwiegende Infektion, verursacht durch Viren, Bakterien oder andere Mikroorganismen zu bekämpfen. Auif der anderen Seite die Homöopathen, die sich bemühen, die angeblich zum Wohle des Patienten arbeitenden Mikroorganismen "in ihrer Arbeit" zu unterstützen ? Wo ist da die Schnittmenge, wo die Gemeinsamkeit ?
Schon in diesem einen Beispiel wird deutlich, dass Hochschulmedizin und Komplementärmedizin im Grunde keine dialogfähige Basis haben.
Nicht nur die Homöopathie sieht in ihrer Krankheitslehre als Ursache eine unspezifische geistartige Verstimmung der Lebenskraft an. Damit lehnt sie kausales Ursachendenken ab.
Unbetreitbar ist aber: Alle Krankheiten haben spezifische Ursachen.
Und dort setzt die Wissenschaftsmedizin mit ihren Erklärungsmodellen und Therapien an.
Doch nicht nur aus solchen ganz pragmatischen Gründen halte ich inzwischen die Unterscheidung zwischen Hochschulmedizin und Komplementärmedizin für einen Akt der fortgeschrittenen Patientenverdummung. Es ist eine dreiste Augenwischerei der Gesundheitspolitik, die nur dazu dient, sich der unangenehmen Diskussion zu entziehen, ob die populistische Anbiederung an "Patientenwünsche" sich in der Entwicklung der Wissenschaftsmedizin oder in der Verteilung Gelder für das Gesundheitswesen niederschlagen muss oder soll.
Denn eins gilt nach wie vor: Alles Therapieverfahren, die wirksam sind, werden ihre Wirksamkeit erklären und beweisen können. Wenn sie das können, gehören sie zur "Hochschulmedizin". Der "Komplementärmedizin" bleibt dann - therapeutisch gesehen -nur noch die "leere Menge"! Ihr einziger Wirkmechanismus ist und bleibt der Placebo-Effekt.
Patientengerecht ist es, den Patienten wirksame Methoden anzubieten. Ganz und gar nicht patientengerecht ist es, eine Wirksamkeit bei unwirksamen Methoden vorzugaukeln, damit man den Patienten nach dem Munde reden kann!
Der Ausgangspunkt ist eine Krankheit und ihre Ursache. Das Ziel, dass ohnehin allen klar ist, ist die möglichst vollständige Heilung. Aber der Weg dorthin steht nicht zur Disposition! Weg und Ziel gehören zusammen, und niemand kann Weg und Ziel gleichermaßen frei wählen! Denn im Gegensatz zu den sich massiv widersprechenden Therapieansätzen der Alternativen Heilverfahren, hat sich in der Hochschulmedizin durch Vernetzung von Chemie, Physik und Biologie, von Genetik, Informatik, Kybernetik, Verhaltenslehre und evolutionärer Betrachtungsweise ein weitgehend erdbebenfestes wissenschaftliches Gebäude ergeben, dass die Wege vorschreibt.
Und wer diese einfachen Tatbestände verinnerlicht hat, der weiß, dass es eine Integration von Hochschulmedizinischer Therapie und "Alternativen Heilverfahren" nicht geben kann! Man kann nicht Sinnloses und Sinnvolles integrieren, bloß weil es gerade gesellschaftspolitisch gewollt ist!
In diesem Zusammenhang sei die Krise der Herdecker Anthroposophen-Klinik erwähnt.
Es ist unübersehbar, dass die Mängel der Herdecker Mediziner-Ausbildung, die so eklatant waren, dass die Privatuniversität nur knapp am Entzug ihrer Lehr-Erlaubnis vorbeigekommen ist, vor allem an dem Spagat zwischen Esoterik und Wissenschaftsmedizin lag, der für die Studierenden keine wirklich solide Grundlage für den späteren Beruf war.
Ich finde es immer wieder erschreckend, mit welcher Penetranz in letzter Konsequenz von den Vertretern der Komplementärmedizin die Mitbestimmung über Naturgesetze gefordert wird. Jedes komplementäre Heilverfahren zeichnet sich letztlich dadurch aus, dass in diesen Therapie-Modellen die Naturgesetze, die in jedem Moment unseres Lebens ihre universelle Wirkung ausüben, ignoriert, als falsch oder unvollständig angesehen werden. Und damit die Wirklichkeitskonstrukte der Alternativen nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, wird nicht nur die Naturwissenschaft, sondern Wissenschaft ganz allgemein in Zweifel gezogen; solange diese sich nicht im Sinne der Alternativen bemüht.
Bezeichnend für die Situation ist aber, dass edie notwendige Auseinandersetzung mit diesen oft genannten Widersprüchen definitiv nicht erfolgt. Dafür verschanzen sich die Vertreter und Befürworter der besonderen Therapierichtungen hinter einer besonders starken Position, die ich Komplexität nennen möchte.
Wie will man Schlagworte wie "ganzheitlich", "Stärkung der Abwehrkraft", "geistartige Verstimmung", "Umstimmung", oder gar "Gesundheit" und "Harmonisierung" auf ihren Gehalt prüfen? Wer aber diese Worte verwendet, ist erst einmal gegen Zweifel gefeit.
Nur dann, wenn aus diesem insgesamt autistisch-undisziplinierten Denken die arzneitherapeutischen Handlungsanweisungen oder die konkreten Therapiemaßnahmen destilliert werden, wenn also die Komplexität zugunsten einer detaillierten Betrachtung aufgegeben wird, erscheint die Abstrusität der Verfahren in voller Blüte.
Deswegen ist es auch so absurd, die Diskussion um den Wert von Hochschulmedizin und Alternativmedizin als "Krieg" der Kulturen zu apostrophieren. Es fehlt nämlich der Gegner der Hochschulmedizin, da es im Grunde keine Komplementärmedizin gibt.
Es gibt nur Therapeuten, die über die ethische Grundeinstellung verfügen, sich selbst und die Grundlagen und Methoden ihrer Arbeit einer ständigen skeptischen Kontrolle zu unterziehen, und sich genau so der Grenzenbedingungen ihrer Medizin bewusst sind: nämlich nicht über letzte Wahrheiten zu verfügen, sondern nur über vorläufige Richtigkeiten, keine metaphysischen Begründungen sondern nur das Prüfbare zu akzeptieren, keine Wunder zu beschwören sondern deren Trivialisierung anzustreben, keine Sinngebung sondern nur die Abwehr des Unsinns zu betreiben,
Die Anderen sind die, die "Therapeut" sein wollen. Sie verfügen über letzte Weisheiten, betreiben Magie, glauben an Wunder, und leisten das faktisch Unmögliche, Tag für Tag. Und sie sind auf dem "aufsteigenden Ast"; solange - ich komme nicht umhin, es so zu formulieren - Dummheit, Ignoranz und Naivität zunehmend das Denken der schweigenden Masse beherrschen.
Und wie groß der Unsinn ist, der sich hinter "Alternativen Verfahren und Weltauffassungen" verbirgt, soll zum Abschluss ein wunderbares Zitat aus dem Biotop des Schwachsinns zeigen:
"Der tierische Organismus lebt im ganzen Haushalt der Natur darin. Von vorne nach hinten im Tier: Von der Schnauze gegen das Herz zu hat es die Saturn-, Jupiter-, Marswirkungen, in dem Herz die Sonnenwirkung, dahinter gegen den Schwanz zu die Venus-, Merkur- und Mondwirkung . . . Das vom Mond zurückgestrahlte Sonnenlicht ist ganz unwirksam, wenn es auf den Kopf eines Tieres scheint. Aber diese Dinge gelten namentlich für das Embryonalleben. Das Mondlicht entfaltet seine größte Wirkung, wenn es auf den Hinterteil eines Tieres scheint."
(Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie)
Pianoman