Oscillococcinum
Eine homöopathische Lach- und Sachgeschichte mit Entenklein
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Möglicherweise hat der eine oder andere Leser schon einmal von der 20 Millionen Dollar-Ente gehört.
Nein?
Gut. Leisten wir ein wenig Aufklärung.
In der Homöopathie wird bekanntermaßen viel schräges Gedöns zum „Heilmittel“ erklärt.
Ein ganz besonderes - keine Angst, es ist diesmal nicht Excrementum canium - ist das Gekröse einer Barbarie-Ente, genauer, deren Herz und Leber, mit dem, gemäß der Symptomsammlung der „Arznei“, bevorzugt Diabetiker(innen) behandelt werden sollten, die dann Angst haben, wenn während eines Gewitters ihr Mann möglicherweise zu spät zu kommt, während sie von dem Gefühl gepeinigt werden, dass elektrischen Strömen durch ihre von Krampfadern geäderten Beine jagen, gleichzeitig analer Juckreiz und juckende Beulen am Handgelenk sie so sehr plagen, dass sie immer wieder zwanghaft versuchen, diese abzuwaschen, vor allem dann, wenn ihnen auch noch die Nase läuft, und sie sich hartnäckig der Empfehlung widersetzen, sich doch keine Sorgen zu machen.
Dann hilft Entengekröse C200, besser bekannt als Oscillococcinum.
Weil es aber von den oben beschriebenen Diabetikerinnen wohl nicht allzu viele gibt, haben die Homöopathen beschlossen, dass Occillococcinum auch gegen Grippe hilft, und sie verdienen damit ein Schweinegeld. Das liegt in erster Linie an dem doch verhältnismäßig günstigen Materialaufwendungen: Der U.S.News & World Report vom 17.02.1997 hat errechnet, dass nur eine einzige Ente pro Jahr reichen würde, den Jahresumsatz des Produktes, der 1996 bei 20 Millionen Dollar lag, zu sichern.
Und dieser Umsatz wird eben nicht mit wenigen, dafür aber stark verstörten Diabetiker(innen) gemacht, sondern mit Grippekranken; was der Sache angesichts der potentiellen Gefährlichkeit dieser Infektion doch ein gewisses Geschmäckle verleiht.
Dass eine homöopathische „Arznei“ eigentlich keine Indikation haben darf oder besitzt, ergibt sich nicht nur aus der aktuellen Rechtslage in Deutschland, sondern auch aus Hahnemanns Dogma. Allerdings ficht das Niemanden an, denn es ist schon längst bekannt, dass sich kaum ein Homöopath mit Hahnemanns Ansichten näher beschäftigt.
Genauso wenig, wie an den Lehren des Begründers der Homöopathie, stören sich die Anhänger der wirkstofffreien Zuckerkugel übrigens auch am Namen des Präparats.
Oscillumcoccinum bedeutet nämlich nicht „pürierte und bis zur Abwesenheit verdünnte Enteninnereien“, sondern ist abgeleitet von „Oscillococcus“.
Das wiederum ist der Name einer angeblichen Spezies von Mikroorganismen, „oszillierende Kokken“, die der französische Militärarzt Joseph Roy im Blut von Grippetoten während der Spanischen Grippe zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts gefunden zu haben glaubte.
Dummerweise sind diese Kokken nur und ausschließlich dem Herrn Roy jemals vor die Linse des Mikroskops geraten, keinem Mediziner oder Mikrobiologen davor und auch keinem danach.
Roy jedoch sah sie schließlich in jedem Präparat, das ihm vor die Augen kam: In syphilitischen Geschwüren, in den Tumoren von Krebspatienten, in den Tuberkeln der Tuberkulose-Patienten, im Eiter der Gonorrhoe-Patienten, und bei fast jeder bekannten Infektionskrankheit. Selbst eine Autoimmunerkrankung wie Rheuma wird, zumindest nach Roys Ansicht, von diesem „Superbug“ verursacht.
Man kann wohl annehmen, dass Roy wähnte, so etwas wie die Urkrankheit gefunden zu haben, die ja auch in Hahnemanns Phantasien herumgeisterte.
Nun ist mittlerweile, d.h. auch schon seit einigen Jahrzehnten, gut bekannt, dass viele Infektionen nicht von Bakterien sondern von Viren verursacht werden. Genauso bekannt ist auch, dass Rheuma oder Krebs (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) anderer Ursachen als eine Infektion durch Mikroorganismen haben.
Die Grippe jedenfalls, gegen die Homöopathen dieses Mittel einsetzten, wird nicht von Bakterien verursacht, auf keinen Fall aber von den nicht existierenden oszillierenden Kokken.
Warum nun, wenn es Roy eigentlich um Oscillococcinum ging, ausgerechnet die Barbarie-Ente ins Spiel kam, wird wohl immer im Dunkeln der Geschichte verborgen bleiben.
Jedenfalls sah sich Roy aus irgendeinem ominösen Grund veranlasst, als Quelle für Oscillococcinum Entenleber und Herz zu verwenden.
Was dabei herumkommt, wenn die Innereien mit Hilfe von Pankreassaft und Alkohol vier Wochen fermentiert und anschließend mit mehreren Universen verdünnt werden, darüber lässt sich trefflich spekulieren; ein Heilmittel ist´s allerdings nicht.
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Ziehen wir kurz eine Zwischenbilanz:
- Homöopathen setzen eine Arznei namens Oscillococcinum als Grippemittel ein
- Oscillococcinum ist gemäß der homöopathischen Pharmakologie eine Nosode, also ein Präparat aus Krankheitserregern oder infiziertem Gewebe.
- Allerdings ist Oscillococcinum, außer von Roy, dem „Entdecker“ vor etwa 100 Jahren, noch von keinem anderen Mensch jemals gesichtet worden. Mit sehr sehr hoher Wahrscheinlichkeit, also mit ziemlicher Sicherheit, und fast ohne jeden Zweifel, kann man davon ausgehen, dass Oscilliococcinum nicht mehr als eine optische Täuschung war; oder ein bißchen Schmadder auf der Linse.
- Zudem wird die Grippeerkrankung durch Viren und nicht durch ein Bakterium verursacht, d.h. die Nosode entspricht nicht dem krankheitsauslösenden Erreger, den es laut Hahnemann aber ohnehin nicht gibt; ähnlich wie auch Oscillococcinum. Aber das erwähnt ich schon, oder?
- Entenherz und Leber sind in der ganzen Angelegenheit zwar nicht von Bedeutung, jedoch hindert es die Homöopathen nicht daran, jährlich ein paar Barbarie-Enten den Hals umzudrehen, da, nach Roy, besonders in ihnen der nicht existierende Keim Oscillococcinum häufig zu finden ist.
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Typischer homöopathischer Schwachsinn also; und natürlich typisch alternativheilerische Abzocke.
Um die Letztere geht´s eigentlich bei dieser Geschichte:
Hersteller des ÜberflüssigwieeinKropf-Präparats Oscillococcinum ist der international tätige, französische Homöopathie-Hersteller Boiron, der mit dem Mittel jährlich einen zweistelligen Millionenumsatz erzielt.
Das Zeug ist also ein Blockbuster für Homöopathens.
Entsprechend sensibel reagierte der Konzern nun, als ein italienischer Blogger kritisch über Oscillococcinum berichtete.
Boiron setzte die juristische Maschinerie des Konzerns in Gang, wandten sich an den Provider und forderten diesen auf, die homöopathiekritischen Beiträge des 28-jährigen italienischer Informatiker Samuel Riva zu löschen, da diese angeblich falsch und abwertend über Homöopathie und das Unternehmen berichteten.
Dem Blogger selbst drohte der Konzern mit einer Klage wegen Verleumdung, woraufhin der Riva witzelte, nun wolle der Homöopathie-Konzern auch noch „die Meinungsfreiheit verdünnen“.
Weil aber die Internetgemeinde allergisch auf Versuche reagiert, die Meinungsfreiheit (sei die jeweils vertretene Meinung auch noch so grottendumm) im Netz juristisch zu beschneiden, wirkt derzeit der Streisand-Effekt, der dafür sorgt, dass Nachrichten und Storys besonders nachhaltig verbreitet werden, wenn deren Verbreitung verhindert werden soll. In der deutschsprachigen Bloggerszene sind entsprechende Meldungen bei u.a. bei esowatch, scienceBlogs , kidmed oder auf dem Blog der GWUP zu finden. International war Boirons Attacke selbst dem renommierten British Medical Journal eine Meldung wert.
Boiron hat sich durch die hysterische Reaktion auf einen kleinen Blogger wohl einen Bärendienst erwiesen. Ich jedenfalls bin gespannt, wie sich die schnell verbreitende, bisher meist nur Insidern bekannten Geschichte von der Millionen-Dollar-Ente und dem nicht existierenden Bakterium, auf die Verkaufszahlen von Oscillococcinum auswirken.
Kleine Anmerkung zum Schluss:
Boiron ist nicht nur für absonderliche Arzneien zuständig.
Wenigstens genauso erstaunlich ist die Feststellung auf der Internet-Seite von BoironUSA
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Homeopathic medicines are indicated for relief of symptoms not prevention of infectious diseases.
Haben die Homöopathen bisher nicht genau das der geschmähten Schulmedizin vorgeworfen?
Einfach nur „Symptome zu lindern“, während die Homöopathen den Menschen ganzheitlich und ursächlich behandeln würden?
Haben Sie, immer und immer wieder.