Ich habe einen Patienten ausführlich untersucht und bespreche mit ihm alle Ergebnisse. Er schaut mich hoffnungsvoll an: „Sie haben doch schöne Befunde erhoben, oder?“ Ich stocke wie Gallengangskonkrement vor der Papilla vateri. Ob die Befunde schön sind, so erkläre ich ihm, kann ich nach jahrzehntelanger Erfahrung in der ambulanten Versorgung nicht beurteilen. Die Sache mit der Schönheit ergibt sich nun mal aus der Perspektive; Patienten haben mir beigebracht, dass sie die Akutrekanalisation ihrer Koronararterie und damit Abwendung eines Herzinfarktes nicht schön fanden. Weil es keine Prozente für die Schwerbehinderung gab. Oder dass die gelungene medikamentöse Einstellung ihrer Herzschwäche verwerflich war, weil ihnen keine Erwerbsunfähigkeit bescheinigt wurde. Dass unauffällige Laborbefunde als hässlich empfunden wurden, weil daraus keine Befreiung von der Schule resultierte. Daher halte ich mich heute mit der Schönheit zurück, das überlasse ich lieber meinen Schutzbefohlenen. „Trotzdem, Herr Doktor, wie würden Sie meine Befunde, ich meine ganz persönlich, einschätzen?“ Einfach schön. „Wirklich?“ Ja. „Das ist ja wunderbar!“ Es ist ein gutes Gefühl, wenn man mit dem Patienten einer Meinung ist.

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