DB fahren heisst überleben lernen
Di, 13.07.2010 - 00:02 —
Als unfreiwilliges Mitglied der Schicksalsgemeinschaft „Pendler vom Munot“ benutze ich jeden Tag den sogenannten „Interregio-Express“ der DB für die Fahrt von meinem Wohnort Schaffhausen an meinen Arbeitsort Basel und zurück – seit Januar 2008. Pro Jahr lege ich demnach im „Rollmaterial“ der DB ca. 45'000 km zurück (mehr als der Erdumfang), und bezahle dafür in der sogenannten „1. Klasse“ jeden Monat mehr, als ein Hartz-IV-Empfänger in Deutschland monatlich an Geld zur Verfügung hat.
Selbstverständlich wird mir für dieses Geld eine ganze Menge geboten:
– Der Sommer-Überlebenskurs „Klimaerwärmung als persönliche Erfahrung“ mit Totalausfall der Zugs-„Klimatisierung“ beginnt im Frühling, wenn die Tageshöchsttemperaturen an der schwer zu knackenden 25-Grad-Limite kratzen, und endet im Spätherbst, wenn die Tagesmaxima sich in Richtung eisige 20 Grad verabschieden.
– Der Winter-Überlebenskurs „Tragbare Pendlermode im Alltagseinsatz“ erspart uns die Mühe, im Zug die Strassenbekleidung wie Jacken, Mäntel, etc. abzulegen, weil im Winter die Klimaanlagen der DB anstandslos funktionieren (geht doch!). Das erlaubt es uns, ohne falsche Scheu unseren Mitpendlern vorzuführen, was wir uns für tolle Winterklamotten gekauft haben.
– So richtig spannend sind jeweils unvorhersehbare Evakuierungsübungen: Erst zwei, drei Bilderbuch-Notbremsungen auf offener Strecke, danach beissender Brandgeruch im Abteil. Dann im Schrittempo zum nächsten unbemannten Provinzbahnhof (Ruinen-Romantik); dort raus aus dem Zug und 30 Minuten später rein in den proppenvollen „Regional-Express“ – überleben heisst hier, den minimalen Sozialabstand überwinden können.
– „Erste-Klasse-Sitzen“ ist eine der beliebtesten Veranstaltungen, mit denen die DB bunte Farbtupfer in den tristen Pendleralltag bringt: Die Zugskomposition ist, bei gleicher Fahrgastzahl, nur halb so lang wie üblich, weshalb die sonst so unzugänglichen Erstklass-„Fahrgäste“ ihre verzweifelten Schicksalsgenossen aus der 2. Klasse herzlich bei sich in der „Ersten“ willkommen heissen – in der DB ist Solidarität eben noch lange keine leeres Wort.
Alles in allem: Wir sollten dieser tief im Volk verwurzelten und langer Tradition verpflichteten Institution unseren höchsten Respekt zollen – was sind dagegen schon ein paar rote Klöpfe?